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Gescheiterte Unternehmen haben mehr gemeinsam als man denkt – aber Scheitern kann verhindert werden

Enron: Einst mächtig, jetzt weg. Hanneorla/Flickr, CC BY

Weltweit bekannte Firmen wie AIG, American Airlines, Arthur Andersen, Blockbuster, Chrysler, Citigroup, Dunlop, Enron, Kodak, Marks & Spencer, Nokia, Parmalat, Polaroid und Woolworth haben eines gemeinsam: Es sind alles Unternehmen, die gescheitert sind. Das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten, denn diese Unternehmen waren in ganz unterschiedlichen Branchen tätig und die Gründe für ihr Scheitern scheinen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich zu sein.

Im Rahmen einer Studie, die kürzlich im Journal of Management Studies erschienen ist, haben sich meine Kollegen und ich gefragt, ob sich nicht doch Gemeinsamkeiten entdecken lassen; ob es wiederkehrende Muster gibt, die erklären, wie und warum erfolgreiche Großunternehmen scheitern. Dieser Artikel wurde gemeinsam mit Stefanie Habersang (Leuphana University Lüneburg), Jill Küberling-Jost (Technische Universität Hamburg) und Markus Reihlen (Leuphana University Lüneburg) verfasst.

Um mögliche gemeinsame Ursachen und Muster zu erforschen, haben wir dabei ein innovatives Forschungsdesign genutzt: eine Qualitative Meta-Analyse. Auf diese Weise war es uns möglich, die Fülle der bisher veröffentlichten Einzelfallstudien über gescheitere Unternehmen zu analysieren und Gemeinsamkeiten in den zugrunde liegenden Prozessen zu identifizieren.

Vier Prozesse, die zum Scheitern von Unternehmen führen

Ein erstes markantes Ergebnis der Analyse war, dass alle Fehlschläge durch vier Prozessmuster erklärt werden konnten. Wir haben diese Prozessmuster „Der Imperialist", „Der Nachzügler", „Der Schurke" und „Der Politisierte" genannt.

  • Der Imperialist: Dieses Prozessmuster beschreibt das Scheitern eines Unternehmens aufgrund übermäßiger Expansion. So zeichnete beispielsweise Parmalat, WorldCom und News of the World eine dominante Unternehmensführung (entweder autokratisch oder charismatisch) aus, die eine aggressive Expansionsstrategie verfolgte. „Der Imperialist" scheitert aufgrund einer Überexpansion des Unternehmens, die sowohl zu Konflikten mit internen als auch mit externen Stakeholdern führt.

  • Der Nachzügler: Für das Prozessmuster „Nachzügler" sind Kodak, Marks & Spencer und Polaroid namhafte Beispiele. Sie alle scheiterten, weil sie sich nicht an die sich ändernden Marktbedingungen angepasst haben. Diese ehemaligen Branchenführer blieben zu sehr in ihrer Identität „Wir sind die Besten" verhaftet, selbst als ihre Marktführerschaft schon längst vorüber war. Obwohl das Management dieser Unternehmen die Notwendigkeit für Veränderung sah, war es nicht in der Lage, das bisher so gut funktionierende Geschäftsmodell zu überdenken und neu auszurichten. Einen ähnlichen Prozess beschreibt Joshua Gans und erklärt, wie das iPhone die Mobilfunkindustrie revolutioniert hat.

  • Der Schurke: Hier geht es um die Verwandlung von zunächst sehr hoch angesehenen Unternehmen in „gesellschaftliche Schurken". Im Fall von AIG, Citigroup und Enron haben bisher angesehene Unternehmen versucht, ihre ehrgeizigen Ziele zunehmend mit fragwürdigen Geschäftspraktiken zu erreichen (siehe auch Kennedy und Anderson, die diskutieren, wie unethische Praktiken zur Routine werden können). Nach der wiederholten Aufdeckung fragwürdiger Geschäftspraktiken verloren diese Unternehmen nicht nur das Vertrauen ihrer Kunden, sondern auch ihre Legitimität und Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft und Öffentlichkeit allgemein. Diese „Schurken"-Unternehmen scheitern, weil sie ihre gesellschaftliche Akzeptanz verlieren; sie verlieren ihre „social license to operate".

  • Der Politisierte: Dieser Prozess beschreibt, wie Unternehmen durch Konflikte scheitern, die sich immer mehr zuspitzen und nicht aufgelöst werden können. An diesen Auseinandersetzungen können sowohl interne als auch externe Stakeholder beteiligt sein, und das kann schließlich, wie im Fall von Arcandor, Chrysler und Delta Airlines, zu einer Art aufreibendem „Stellungskrieg" führen. Diese schwerwiegenden Konflikte binden wichtige Ressourcen und verhindern dadurch, dass sich die Unternehmen an die sich wandelnden Marktgegebenheiten anpassen.

Zwei zugrundeliegende Mechanismen, die die vier Prozesse erklären

Bei näherer Betrachtung der vier genannten Prozesstypen kamen wir zu der faszinierenden Erkenntnis, dass sich jeder der vier Prozessmuster durch nur zwei zugrunde liegende Mechanismen erklären lässt: Rigidität und Konflikt.

  • „Rigiditätsmechanismen" sind sich selbst verstärkende konvergierende Prozesse. Im Fall von Marks & Spencer beispielsweise überschätzten die Top-Manager die Stärke des Unternehmens. Das führte dazu, dass sich bei den Führungskräften der mittleren Ebene eine „Illusion der Unverwundbarkeit" entwickelte. Diese Illusion wiederum bestärkte das Top-Management in ihrer überhöhten Selbstwahrnehmung.

  • Im Gegensatz dazu sind „Konfliktmechanismen" divergierende Prozesse. Schauen wir uns Nokia an: Hier divergierten die sich ändernden Bedürfnisse der Konsumenten und die Nachfrage nach mobilen Innovationen mit der Unternehmensstrategie der Organisation. Nokia war zu diesem Zeitpunkt gerade dabei in Geschäftsfelder zu investieren, die nichts mit Mobiltelefonen zu tun hatten. Sein eigentliches Kerngeschäft verlor Nokia damit aus den Augen.

Während sich die beiden Mechanismen grundlegend unterscheiden - der eine basiert auf Konvergenz, der andere auf Divergenz - sind beide in der Lage, Veränderungen auf Unternehmensebene herbeizuführen oder auch zu verhindern. Unsere Analyse zeigt, dass es eine bestimmte zeitliche Abfolge von Rigiditäts- und Konfliktmechanismen ist, die erklärt, wie und warum Unternehmen scheitern.

Unterstützung von Führungskräften bei der Vermeidung von Fehlschlägen

Natürlich will kein Manager die Erfahrung machen oder sogar dazu beitragen, dass das eigene Unternehmen scheitert. Aber gleichzeitig ist es bekanntlich schwierig, die subtilen Signale (sogenannte „weak signals"), die zu einer Abwärtsspirale führen könnten, frühzeitig zu erkennen. In diesem Zusammenhang haben die dargestellten Prozessarchetypen zwei wichtige Implikationen für die Praxis.

Mit den vier Prozessmodellen bieten wir evidenzbasierte Frameworks, die Managern helfen können Muster zu erkennen, die das Überleben ihres Unternehmens gefährden können. So lenkt beispielsweise das Prozessmodell „Der Nachzügler" die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Unternehmensidentität beim Scheitern von Unternehmen. Wenn Unternehmen einen radikalen technologischen Wandel vollziehen müssen - zum Beispiel in der Automobilindustrie, die von thermischen auf elektrische Motoren umsteigen will (wie von Stefan Tongur und Mats Engwall erläutert) - wird die Veränderung der Unternehmensidentität potentiell zu einer überlebenswichtigen Aufgabe im Turnaround-Prozess.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass jeder der beschriebenen Prozesse überwunden werden kann. Während es wichtig ist darauf hinzuweisen, dass eine gewisse Rigidität und ein gewisser Konflikt innerhalb von Organisationen tatsächlich wünschenswert sind, weil erstere die Effizienz erhöht und letztere durchaus kreatives Potenzial besitzt, sind es die extremen Formen dieser beiden Mechanismen, die zum Scheitern der Organisation beitragen. Die praktische Schlussfolgerung ist, dass effektive Führungskräfte das richtige Gleichgewicht zwischen Rigidität und Konflikt in ihren Organisationen orchestrieren müssen…

This article was originally published in English

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